Die 4-Prozent-Regel: Wie viel Geld man für die finanzielle Freiheit braucht

4 Prozent Regel
Finanzielle Freiheit – ein Grund zum Jubel! Photo by Andre Hunter on Unsplash

 

Wer sich tiefgehend mit seinen Finanzen beschäftigt, steht irgendwann unweigerlich vor der Gretchenfrage des Geldes: Wie viel davon benötige ich eigentlich genau, um nie wieder arbeiten zu müssen? Die Antwort darauf verspricht die 4-Prozent-Regel.

“So viel Geld haben, dass man nie wieder arbeiten muss”. Dieser Satz klingt geradezu magisch. Kein Wunder also, dass viele Menschen dem Pensions- bzw. Renten-Antritt mit dermaßen großer Faszination und Vorfreude entgegenfiebern. Wäre da nicht ein entscheidender Haken. 

Nämlich, dass der Zeitpunkt des Ruhestands relativ spät im Leben kommt. Zu spät, wenn es nach den Vertretern der sogenannten FIRE-Bewegung geht. Sie streben an, möglichst früh möglichst frei über ihre Zeit verfügen zu können. Dazu benötigt es jedoch Geld. Wie viel genau? Genau das soll uns die 4-Prozent Regel verraten.

 

4-Prozent-Regel: Die Rechnung

Im Grunde ist die Sachlage einfach. Denn jeder von uns hat schon jetzt sämtliche Informationen, die er oder sie für die Berechnung benötigt. Auch wenn wir es vielleicht noch gar nicht wissen. Wie meinen?

Um zu berechnen, wie viel Geld man laut 4-Prozent-Regel für den angestrebten Vorruhestand benötigt, muss man zunächst die eigenen Ausgaben im Detail kennen. Konkret lautet die Frage: 

 

Wie viel Geld brauche ich pro Jahr? 

 

Ein verlässlicher Indikator sind dabei die Ausgaben der letzten Jahre. Mehrzahl. Denn nur dann sind auch vermeintliche einmalige Ausgaben (Stichwort “defekte Waschmaschine”) in der Rechnung enthalten, was diese realistischer und damit langfristig tragfähiger macht. Genau Letzteres ist ja besonders wichtig. Wir werden noch feststellen, warum dem so ist.

Doch widmen wir uns zunächst wieder dem jährlichen Finanzbedarf. Hat man diesen erst einmal ermittelt, muss man diesen Betrag nur noch mit 25 multiplizieren und schon erhält man die Geldsumme, die man benötigt.

 

4-Prozent-Regel: Eine Millionärs-Formel?

Der “magischen 25” der 4-Prozent-Regel werden wir uns gleich widmen. Zuvor machen wir jedoch einen Schritt zurück, um ein noch klareres Bild der Gesamtsituation zu bekommen. 

So ist in der politischen Diskussion ja oft die Rede von den Reichen. Doch wer sind die Reichen eigentlich? Das ist gar nicht so einfach zu beantworten – auch wenn es die Politik (und zwar landein, landaus) mit großer Regelmäßigkeit tut. Verwiesen wird ganz einfach auf die Millionäre. Es stellt sich jedoch die Frage: 

 

Ermöglicht das Leben mit einer Million Euro wirklich ein Leben in Saus und Braus?

 

Eher nicht. Doch wie komme ich zu diesem Befund? Das will ich gerne vorrechnen. Und hier schließt sich dann auch der Kreis Richtung 4-Prozent-Regel.

Gehen wir davon aus, dass wir mit 40.000 Euro ein ganzes Jahr lang gut über die Runden kommen können. Das sind pro Monat genau 3.333,33 Euro. Ich denke, dass ich mich nicht zu weit aus dem Fenster lehne, wenn ich behaupte, dass dieser Betrag für die allermeisten Menschen ein relativ sorgenfreies Leben gewährleisten sollte.

Doch wie komme ich gerade auf 40.000 Euro? Selbstverständlich ist die Geldsumme nicht beliebig gewählt. Sie führt – wenn man sie in die Formel für die 4-Prozent-Regel einfügt – zu einem schönen (weil runden) Ergebnis. Nämlich zu einer Million Euro.

 

40.000 Euro x 25 = 1.000.000 Euro

 

4-Prozent-Regel: Wo kommt die 25 her? 

Wer kann sich nicht an die ewig gleiche Leier im Mathematik-Unterricht erinnern? Sinngemäß hieß es da von den Lehrern und Lehrerinnen stets: 

 

Ihr sollt die Formeln nicht auswendig lernen, sondern herleiten können! 

 

Das ist – in der Regel – leichter gesagt als getan. Doch es gibt auch die berühmte Ausnahme zu jeder Regel. In diesem Fall: Die 4-Prozent-Regel.

 

Die 4 Prozent Regel
Die 4 Prozent Regel

 

Und so einfach funktioniert die Herleitung: Rechnet man 4 Prozent aus einer Grundgesamtheit (100 Prozent) heraus, erhält man ein 25stel (100 geteilt durch 4). Die im ersten Schritt berechneten jährlichen Ausgaben entsprechen genau diesem 25stel. Damit man nun auf die Grundgesamtheit (100 Prozent) kommt, muss man also nur noch die Multiplikation mit 25 durchführen. Tada! Formel hergeleitet.

Kleiner Exkurs: Wäre es die 3-Prozent-Regel würde man entsprechend mit 33 multiplizieren, bei einer 5-Prozent-Regel mit 20. Doch wir schweifen ab…

 

Wie soll sich die benötigte Million zusammensetzen?

 

Bis zu diesem Zeitpunkt war es (hoffentlich) noch relativ simpel. Wie wir festgestellt haben, muss ich einfach die geplanten jährlichen Ausgaben mit 25 multiplizieren – und schon weiß ich, wie viel Geld ich brauche. So weit – so richtig. Doch der Teufel liegt bekanntlich im Detail.

 

Teufel
Der Teufel liegt im Detail

 

Schließlich ist es entscheidend, in welcher “Form” die finanziellen Mittel vorliegen müssen. Schauen wir uns zunächst an, welche Kenngröße uns nicht weiterhilft. Das in Geldfragen vielzitierte Netto-Vermögen ist es nämlich nicht. Doch warum eigentlich nicht?

Es kann gut und gerne sein, dass man einen Finanzbedarf von weniger als 40.000 Euro pro Jahr hat, auf dem Papier zwar Millionär ist, und dennoch nicht finanziell frei ist. Schauen wir uns an, weshalb genau das der Fall sein kann. 

Ein klassisches Beispiel für obiges Szenario wäre, wenn man eine Immobilie besitzt, die im Laufe der Jahre (und/oder Jahrzehnte) stark im Preis gestiegen ist. Diese Immobilie kann uns auf dem Papier zum Millionär machen. Das reicht aber nicht zwingend aus, um finanziell frei zu sein. Mitunter selbst dann nicht, wenn sie voll abbezahlt ist. Sehen wir uns an, warum.

Die selbstbewohnte Immobilie liefert schlicht keinen Cash-Flow. Klar, sie mindert unsere Wohnkosten. Aber das ist bei der Berechnung des Finanzbedarfs ja bereits berücksichtigt worden. Wenn die 1-Million-Euro-Immobilie nun also der einzige Vermögenswert ist, bleibt die offensichtliche Frage: Wie begleiche ich (und zwar für den Rest meines Lebens) meine laufenden Kosten? Jedes Jahr 4 Prozent der Immobilie zu verkaufen, ist in die Praxis nicht umsetzbar und hilft uns entsprechend nicht weiter.

 

Portfolio statt Immobilie
Portfolio statt Immobilie

 

Natürlich muss man an dieser Stelle mitnichten klein beigeben. Es gibt nämlich noch eine Handvoll denkbarer Möglichkeiten, um das Cash-Flow-Problem zu lösen. Zum Beispiel könnte man ausziehen und die Immobilie vermieten, um von den Mieteinnahmen zu leben. Für die meisten ist das eine unattraktive Alternative weil sie schlicht nicht ausziehen wollen. Und selbst wenn man es doch in Erwägung zieht, stellt sich einerseits die Frage nach einem verlässlichen Mieter und andererseits jene nach der Miethöhe. Bleiben wir bei der 1-Million-Euro-Immobilie und gehen wir davon aus, dass wir eine verlässlichen Mieter gefunden haben. Es stellt sich nun die Frage, ob tatsächlich 40.000 Euro pro Jahr (3.333,33 Euro pro Monat) an Mieteinnahmen erzielt werden können. Und dann sind da noch die Steuern…

Um die Sache abzukürzen: Das Nettovermögen als Kennzahl reicht nicht aus. Doch was braucht es denn nun, um den Rahmenbedingungen der 4-Prozent-Regel genügen zu können? Tatsächlich benötigt man dazu ein diversifiziertes Portfolio aus Aktien und Anleihen.

 

Die heilige Dreifaltigkeit der Studien

Wenn die 4-Prozent-Regel die Basis für den Vorruhestand ist, dann ist die sogenannte Trinity-Studie die Basis für die 4-Prozent-Regel.

Um zu verstehen, worum es dabei geht, müssen wir eine Reise durch Raum und Zeit machen. Und zwar in die Vereinigten Staaten der 1990er Jahre. Warum die Vereinigten Staaten? Weil Aktieninvestments dort eine viel wichtigere Rolle spielen – und damals schon spielten – als hierzulande. Um es kurz zu machen: Das staatliche Renten-/Pensions-Modell ist dort deutlich weniger großzügig, als in Österreich oder Deutschland. Entsprechend sorgen die Menschen in den USA schon seit vielen Jahrzehnten privat für den Ruhestand vor. Schlauerweise tun sie das (unter anderem) durch Aktieninvestments.

Die brennende Frage für weite Teile der Bevölkerung lautet: 

 

Wie groß wird meine Rentenlücke sein? 

 

Und wie viel muss ich investiert haben, um den Rest meines Lebens von meinem Ersparten (Investierten) leben zu können?

Nun rentiert der US-Aktienmarkt langfristig mit gut 7 Prozent pro Jahr. Folgerichtig kann man also 7 Prozent pro Jahr entnehmen ohne das eigene Kapital aufzuzehren, oder? Oder? Besonders scharfsinnige Leser werden die Antwort erahnen. Sie lautet nein. Sonst gäbe es ja die 4-Prozent-Regel nicht, sondern die 7-Prozent Regel. Warum dem so ist, werden wir noch erläutern.

Momentan ist für uns lediglich interessant, dass William Bengen – ein Finanzberater als Kalifornien – im Jahr 1994 wissen wollte, wie viel in Sachen Entnahme wirklich möglich ist. Er schnappte sich also die historischen Zahlen zum US-Aktien- und US-Anleihen-Markt, die bis ins Jahr 1926 zurück reichten und begann zu rechnen.

 

Schauen wir uns an, was genau er berechnet hat.

-) Zunächst hat er ein Portfolio erdacht, das jeweils zur Hälfte in den S&P 500 Aktienindex (das sind die 500 größten, börsennotierten Unternehmen der USA) und US-Staatsanleihen mittlerer Laufzeit investiert hat.

-) Dann berechneter er einen gleichbleibenden Betrag, den man aus diesem Portfolio jedes Jahr entnehmen können sollte. Wobei, ganz gleichbleibend war der Betrag nicht. Er wurde nämlich jedes Jahr um die Inflation nach oben angepasst (was gute Nachrichten sind, was die Tragfähigkeit der 4-Prozent-Regel betrifft – dazu später mehr). Die Betrag wird als die Entnahmerate bezeichnet.

Um ein möglichst verlässliches Ergebnis zu erhalten, rechnete Bengen munter darauf los. Er berechnete dabei sämtliche 50-Jahres-Zeiträume von 1926 weg. Also 1926 bis 1975, 1927 bis 1976 etc. Und er probierte dabei diverse Entnahmeraten aus. Konkret 3, 4, 5 und 6 Prozent pro Jahr.

Das Ergebnis seiner Berechnungen stellt die Grundlage für das dar, was wir heute unter der 4-Prozent-Regel verstehen. Und zwar: Wer höchstens 4 Prozent pro Jahr aus seinem Portfolio entnimmt, konnte in der Vergangenheit stets mindestens 30 Jahre lang von seinem Ersparten zehren. Was so unspektakulär klingt, ist in Wahrheit bahnbrechend. Warum?

Um es noch einmal klarzustellen: Egal welcher 30-Jahres-Zeitraum: Wer nicht mehr als 4 Prozent pro Jahr entnahm, der kam damit finanziell durch. Selbst im worst-case. Aus diesem Grund wurden die 4 Prozent auch passenderweise zur sicheren Entnahmerate erkoren. Interessantes Detail am Rande: die 4 Prozent stellten den absoluten worst case dar (lediglich ein Rentenantritt im Jahr 1966 hatte nach 30 Jahren das gesamte Portfolio aufgebraucht). Heißt: In 99 Prozent der anderen Fälle hätten sogar mehr als 4 Prozent entnommen werden können.

Wer sich noch genauer mit der Geschichte der Trinity Studie (und das auch noch in deutscher Sprache) auseinandersetzen will, dem empfehle ich diesen großartigen Artikel von Oliver Noelting von Frugalisten.de. Überhaupt empfehle ich diesen Blog bestens Gewissens weiter.

 

4-Prozent-Regel: Interessante Gedankenexperimente

Wir haben nun also festgestellt, wo die Ursprünge der 4-Prozent-Regel liegen und wofür man sie nutzen kann. Letzteres eröffnet ganz neue Sichtweisen. Ein paar davon, möchte ich hier noch niederschreiben, weil ich sie für hochgradig relevant halte. Legen wir los.

Wenn man seine jährliche Ausgaben erst einmal kennt, kann man sich mit der 4-Prozent-Regel nämlich nicht “nur” ausrechnen, wie viel Geld man insgesamt braucht, um die finanzielle Unabhängigkeit zu erreichen. Schauen wir uns einfach an, was damit gemeint ist.

Egal wie man es auch dreht und wendet. Am Ende kommt bei der 4-Prozent-Regel stets eine relativ hohe Zahl heraus. Diese ist mitunter so groß, dass man es als unrealistisch erachtet, sie jemals zu erreichen. Das kann kontraproduktiv sein. Verständlich: Das Ziel liegt nicht nur finanziell in weiter Ferne, sondern auch zeitlich. Die Aussicht jahrzehntelang eisern zu sparen, nur um sein Ziel dann doch nicht zu erreichen, kann frustrierend sein. 

 

Crash-Meme
Ein Crash zur falschen Zeit kann fatale Folgen haben

 

Wer am Erreichen von Zielen arbeitet, der will logischerweise schon heute etwas tun, das über das bloße Warten hinausgeht. Und genau das ist auch möglich. Nämlich dann, wenn man den Spieß umdreht.

Also: Laut 4-Prozent-Regel benötigt es bei jährlichen Ausgaben von 18.000 Euro (das sind exakt 1.500 Euro pro Monat) immerhin 450.000 Euro um die finanzielle Unabhängigkeit zu erreichen. Das ist ein großer Batzen Geld.

Wenn man es nun aber hinbekommt, die monatlichen Kosten nachhaltig um 100 Euro zu senken, schaut die Rechnung gleich ganz anders aus. Nämlich freundlicher.

Zunächst wäre da die “unterjährige”, unmittelbare Ersparnis von insgesamt 1.200 Euro (12 mal 100 Euro). Diese Ersparnis hat nun gleich zwei positive Effekte. Zum einen kann man diese 100 Euro dazu verwenden, den Sparbetrag (für das Portfolio aus Aktien und Anleihen) zu erhöhen, um schneller auf den mit der 4-Prozent-Regel errechneten Zielbetrag zu kommen. Zum anderen – und das ist noch beeindruckender, haben die neuen, niedrigeren Fixkosten auch unmittelbare Auswirkungen auf den Betrag, den man erreichen muss. Gehen wir ins Detail:

Konkret liegen die Fixausgaben jetzt nicht mehr bei 18.000 Euro, sondern nur noch bei 16.800 Euro. Die 4-Prozent-Regel spuckt uns jetzt folgerichtig einen Betrag von exakt 420.000 Euro aus. Das sind satte 30.000 Euro weniger als die ursprünglich berechneten 450.000 Euro.

Was lässt sich daraus schließen? Einiges. Wer sich mit der 4-Prozent-Regel beschäftigt, der ist in Sachen Finanzen höchstwahrscheinlich schon relativ weit fortgeschritten. Zu realisieren, dass man es aus eigener Kraft schaffen kann, die finanzielle Unabhängigkeit zu erreichen, ist für viele ein Augenöffner.

Die 4-Prozent-Regel hilft uns dabei, einen (ungefähren) Zielwert zu errechnen. Das ist gewiss ein wichtiger Schritt. Aber es ist eben “nur” der erste Schritt (oder zeitlich betrachtet der letzte Schritt). Denn von dieser Basis aus, kann man peu á peu weitere Maßnahmen ergreifen. 

 

4-Prozent-Regel: Schneller zum Ziel

Welche das sind? Mittelfristig sollte man versuchen die Einnahmenseite so gut wie möglich zu verbessern. Das ist extrem wichtig. Doch wenn man das Prinzip first things first befolgen will, sollte man schauen, was man unmittelbar unternehmen kann. Also im Hier und Jetzt.

Und das führt uns direkt zum Senken der Kosten. Die allermeisten Menschen sind fest davon überzeugt, dass sich ihre Kosten nicht senken lassen. Das ist jedoch in den allermeisten Fällen in Irrglaube.

Beim Senken der Kosten muss man zwischen low hanging fruits und big wins unterscheiden.

Schauen wir uns zunächst die low hanging fruits an. Diese haben den Vorteil, dass man trotz Einsparungen keinerlei “Qualitätsverlust” hinnehmen muss. Es findet lediglich eine Optimierung der Kostenstruktur statt. In welchen Bereichen man dabei am schnellsten fündig wird? Bei jegliche Art von Versicherungen, Strom- und Gas sowie Internet- und Mobilfunk kann man am einfachsten vergleichen und sparen. 

In diesen Bereichen lassen sich – falls die Kosten hier bislang noch nicht optimiert wurden – mindestens dreistellige, wenn nicht sogar vierstellige Eurobeträge an Kostensenkungen erreichen. Und zwar nachhaltig (also jährlich) und – wie bereits erwähnt – ohne jeglichen Qualitätsverlust.

Wer im Bereich der low hanging fruits bereits alle Maßnahmen ausgeschöpft hat, kann sich noch den big wins widmen. Diese lauten: Wohnen, Mobilität, Freizeit. Die gute Nachricht: Hier ist finanziell extrem viel möglich. Der Haken: Ohne Qualitäts- bzw. Quantitätsverlust wird es hier nicht gehen.

 

Schmerzen
Die 4-Prozent-Regel kann Schmerzen verursachen (Photo by averie woodard on Unsplash)

 

Auch wenn es hart klingt: Wer Wohnfläche reduziert, kann mitunter riesige Kosteneinsparungen erreichen. Das Gleiche gilt in Sachen Mobilität. Braucht man als Paar oder Familie wirklich zwei Autos? Benötigt man überhaupt ein Auto? Kann man beim Übersiedeln in eine kleinere Wohnung eventuell berücksichtigen, dass man näher am Arbeitsplatz und/oder bei guten Einkaufsmöglichkeiten lebt, um die Mobilitätskosten zu senken? Und schließlich ist da noch die Freizeit. Selbstverständlich lassen sich auch hier massive Einsparungen machen. Zum Beispiel indem man Urlaube streicht, oder durch günstigere Alternativen ersetzt (Stichwort Camping). Oder indem man statt essen zu gehen öfter selbst kocht. Oder indem man ein günstigeres Fitness Studio sucht, das ähnliche Leistungen hat. Die Möglichkeiten sind schier endlos.

Wer jetzt in Bezug auf ein “reduziertes Leben” auf den Geschmack gekommen ist, dem empfehle ich nach dem Wort Frugalismus zu googeln. Die sogenannten Frugalisten machen genau das, was in den vorigen Absätzen beschrieben wurde. Die Aussicht auf den Vorruhestand motiviert sie dazu innerhalb weniger Jahre dermaßen viel zu sparen, dass die freiwillige Frühpensionierung schon nach wenigen (7 bis 10) Jahren erreicht werden kann. Wie gesagt, hier einfach mal online nach Frugalismus oder FIRE suchen. 

 

4-Prozent-Regel: Auf die Reihenfolge kommt es an

Doch kehren wir zur 4-Prozent-Regel zurück. Im Bereich über die Trinity-Studie haben wir es bereits angedeutet – jetzt gehen wir ins Detail. Warum kann man nicht einfach mit der Marktrendite rechnen? Dazu müssen wir einen kleinen Schritt zurück machen. 

Wir haben uns vor einigen Wochen angesehen, welche Renditen man sich realistischerweise von Aktieninvestments erwarten darf. Wer nicht nachlesen möchte: Es sind rund 7 Prozent pro Jahr. Bleibt die Frage, warum man dann nicht ganz einfach mit diesen 7 Prozent rechnet. Dadurch würde sich die errechnette Zielsumme ja deutlich verkleinern.

 

18.000 Euro x 25 (100 /4) = 450.000 Euro

18.000 Euro x 14,29 (100 / 7) = 257.220 Euro

 

Wie man in unserem Beispiel sieht, liegt die Differenz bei jährlichen Ausgaben von 18.000 Euro bei fast 200.000 Euro. Das sind knapp 43 Prozent weniger.

Die Sache hat jedoch einen entscheidenden Haken. Und dieser Haken hängt damit zusammen, dass man zwar relativ verlässlich weiß, was Aktieninvestments im (ganz) langen Durchschnitt abwerfen. Gleichzeitig weiß man aber nicht, in welcher Reihenfolge welche Renditen zu erwarten sind. 

 

Durchschnittlich 7 Prozent heißt eben nicht, dass jedes Jahr 7 Prozent reinkommen. 

 

Es bedeutet, dass wenn man alle Renditen auf einer bestimmten Zeitreihe betrachtet, diese im Mittel bei 7 Prozent liegen. Was sich wie eine semantische Feinheit liest, ist in der realen Welt ein himmelweiter Unterschied. Nassim Nicholas Taleb, der Autor von Der Schwarze Schwan, formuliert es folgendermaßen: 

 

Überquere nie einen Fluss, der im Durchschnitt einen Meter tief ist

 

Er meint damit, dass solch ein Fluss an vielen Stellen sehr flach und an einigen sehr tief sein kann. Entsprechend droht das Ertrinken. Umgemünzt auf eine Entnahme von 7 Prozent bedeutet es: Irgendwann wird der Markt so lange zu deinen Ungunsten laufen, dass dein Portfolio (und damit die finanzielle Freiheit) absäuft – also weg sein wird. 

Damit wir uns hier nicht in Details verlieren, fasse ich das Wichtigste zusammen:  Das Schlimmste, das passieren kann, ist, dass man sobald man in den Frühruhestand geht, sofort einen Crash bzw. einem langfristigen Abwärstrend an den internationalen Aktienmärkten hinnehmen muss.

Diesem Risiko (dem die 4-Prozent-Regel grundsätzlich ohnehin gerecht wird) kann man auf mehreren Wegen begegnen. Man kann etwa einen Sicherheitspuffer einplanen, also die angestrebte Zielsumme erhöhen. Dies kann jedoch bedeuten, dass man mehrere Jahre weiter einzahlen (also arbeiten) muss. Das ist für viele eine wenig attraktive Alternative.

Deutlich interessanter könnte es sein, dass man für eine Übergangszeit (ein bis drei Jahre) eine Teilzeitstelle annimmt bzw. die Arbeitszeit vor der eigentlichen Kündigung deutlich reduziert. In diesem Fall könnte man vom Gehalt aus der Teilzeitanstellung leben, während man einen möglichen Crash zwischenzeitlich “gemütlich” aussitzt.

Eine dritte Alternative könnte wiederum sein, dass man in der Zeit des Fehlstarts einfach weniger als 4 Prozent entnimmt. Natürlich kann man dieser Unsicherheit noch durch andere Maßnahmen begegnen. Ich denke aber, dass die Idee auch so klar geworden ist.

 

Die Schwächen der 4-Prozent-Regel: Alles halb so schlimm

Man könnte nun meinen, dass die 4-Prozent-Regel angesichts des Risikos eines Crashs unmittelbar vor dem Rentenantritt (und der Tatsache, dass Anleihen mit mittlerer Laufzeit keine spürbaren Zinsen mehr einbringen) in der Praxis versagt. Das ist jedoch nicht so. Vielmehr versucht die 4-Prozent-Regel – wie bereits erwähnt –  selbst den worst-case mitzunehmen. 

Also sicherzustellen, dass das Kapital jedenfalls 30 Jahre oder länger reicht. Die Bandbreite der möglichen Ereignisse endet jedoch logischerweise nicht beim worst-case. Vielmehr gibt es ja auch middle-case und best-case Szenarien. Das bedeutet, dass wenn man eben nicht gerade unmittelbar vor einem Crash in Pension geht, dass das Kapital entweder viel länger ausreicht als 30 Jahre bzw. dass man sogar mehr als 4 Prozent entnehmen kann, ohne dass das Kapital jemals aufgezehrt sein wird.

Doch all das ist graue Theorie. Aus der Praxis kann ich sagen, dass auch der Weg zum Ziel (ja, natürlich kenne auch ich meinen Zielwert) so einiges zu bieten hat. Was ich damit meine: Wer sich mit dem frühzeitigen Ruhestand auseinandersetzt, der hat sich ja auch ausreichend damit auseinandergesetzt, wie es danach weitergehen soll. Ich habe das relativ detailliert gemacht – und versuche schon heute möglichst viel davon in mein Leben zu integrieren.

Dabei habe ich mich gefragt, wie mein ideales Leben aussehen soll. Was will ich mit der gewonnenen Zeit anfangen? Womit will ich mich beschäftigen? Und je älter man wird, desto wichtiger wird die Frage: Was will ich künftig nicht mehr machen oder haben? Das können beispielsweise unangenehme Erfahrungen mit Führungskräften oder schlicht eine allgemeine Unzufriedenheit im Job sein.

Mir persönlich ist es nicht nur wichtig, dass ich finanziell auf soliden Beinen stehe. Es gibt noch zwei weitere übergeordnete höchstpersönliche Lebensbereiche, die mir zentrale Anliegen sind. Das wäre zum einen meine körperliche Gesundheit und zum anderen meine mentale Fitness. Wer meine Jahresrückblicke verfolgt, weiß, dass ich mir in diesen drei Teilbereichen (Geld, Sport, Bildung) jedes Jahr Ziele setze. Dabei fokussiere ich mich stets auf den Prozess und nicht auf das (vermeintlich) tatsächliche Ziel. Zweiteres ist zwingend die Folge von Ersterem (siehe hierzu die 1 Prozent Methode von James Clear).

Verwirrt? Muss nicht sein. Betrachten wir zunächst das Beispiel Sport: Hier nehme ich mir nicht etwa vor, neue Gewichtsrekorde bei Kniebeugen, Kreuzheben oder Bankdrücken zu schaffen. Vielmehr geht es mir darum, dass ich im Jahresschnitt auf mindestens drei Mal Sport pro Woche komme. Insgesamt also 150 mal. Ein gesunder und trainierter Körper wird die logisches Konsequenz sein. Zumal sich aus einem sportlichen Lebensstil in der Regel zusätzlich auch eine gesunde Ernährung ableitet.

Beim Kernthema Finanzen ist der Prozess (im Vergleich zum Ergebnis) bezogen auf ein einzelnes Jahr sogar noch viel wichtiger. Warum? Weil man das Ergebnis kurzfristig ja überhaupt nicht beeinflussen kann. Was bedeutet das? Ich nehme mir einerseits vor, dass all meine geplanten Sparpläne ausnahmslos ausgeführt werden. Eine Pause ist absolut nicht vorgesehen. Darüber hinaus plane ich eine jährliche Anpassung nach oben bei den Sparbeträgen. Diese Faktoren kann ich kontrollieren. Den Konto- bzw. Depotstand der kurzfristig dabei herausschaut hingegen nicht.

In Sachen mentale Fitness handhabe ich es ähnlich. Diese ist ja schwer zu quantifizieren. Was ich aber in Zahlen gießen kann, ist die Anzahl an Sachbüchern, die ich jedes Jahr lese. Mein Ziel von 50 bleibt dabei Jahr für Jahr unverändert. Auch wenn ich im Jahr 2020 coronabedingt auf über 100 Sachbücher gekommen bin. Mal schauen, wie es im Jahr 2021 gelaufen ist…Corona ist ja leider immer noch nicht überwunden.

 

4-Prozent-Regel: Fazit

Als ich vor einigen Jahren erstmals von der 4-Prozent-Regel gehört habe, hat sie meine finanzielle Sicht auf fast alle Dinge verändert. Plötzlich konnte ich mir (bei aller gegebenen Unschärfe) ausrechnen, wie viel Geld ich tatsächlich benötige, um finanziell frei zu sein. Für mich war das ein echter Aha-Moment.

Ich hoffe, dass ich all jenen, die zuvor noch nicht von der 4-Prozent-Methode gehört haben, mit meinem Beitrag zu einem ähnlichen Erkenntnisgewinn verhelfen konnte. Darüber würde ich mich ehrlich freuen. Außerdem will ich allen gratulieren, die es geschafft haben, diesen Artikel bis zum Ende zu lesen. Ich denke, es ist der umfangreichste in der Geschichte dieses Blogs

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

Schreibe einen Kommentar

*

Menü schließen
%d Bloggern gefällt das: