Wer als Normalo langfristig Vermögen aufbauen will, sollte auf den Zinseszins-Effekt setzen. Neben viel Geduld braucht es dabei auch etwas Mut. Schließlich gilt es (wohl kalkulierte) Risiken einzugehen, um gleichzeitig attraktive Renditen erzielen zu können. Doch mit wie viel darf man in Zeiten von Nullzinsen am Sparbuch rechnen?
Bezüglich einer realistischerweise zu erwartenden Rendite geistern viele Zahlen durch das Internet. Da macht sich bei uns Sparern und Anlegern schnell einmal Verwirrung breit. Deshalb sollten wir unseren Fokus auf das richten, was wir sehr wohl wissen: Nämlich, dass Aktien die Anlageklasse unserer Wahl sind. Warum? Sie bieten langfristig, nachweislich und nachhaltig die höchsten Renditen.
Doch von wie viel Rendite sprechen wir genau? An der einen Stelle liest man von 10 Prozent pro Jahr, an anderer Stelle von 7 Prozent oder 5 Prozent pro Jahr.
Das was stimmt wirklich? Und was ist mit der Inflation? Wird die dabei schon berücksichtigt? Und was ist mit Steuern? Oder Nebenkosten? Man sieht, die Angelegenheit ist nicht ganz einfach. Deshalb holen wir an dieser Stelle ein wenig aus.
Welchen Index wollen wir?
Das Schöne an der Finanzwirtschaft ist, dass es für fast alles einen Fachausdruck gibt. Zum Beispiel für die Neigung hauptsächlich in Unternehmen aus dem eigenen Land zu investieren (mittels Aktien).
Das kann ein kleineres Problem sein (wenn man aus den USA kommt und dort lebt) aber auch ein größeres (wenn man aus Österreich kommt und dort lebt). Je nachdem wie groß der Anteil ist, denn der jeweils heimische Aktienmarkt im globalen Kontext (wie viel sind die Unternehmen zusammengerechnet an der Börse wert?) darstellt. Das ist bei den USA sehr viel, bei Österreich verschwindend wenig. Ähnliches wie für Österreich gilt übrigens auch für Deutschland. Leider.
Der Fachausdruck für die Neigung in Unternehmen aus dem Heimatland zu investieren, lautet Home Equity Bias.
Genau diesen Home Equity Bias wollen wir vermeiden, wenn wir uns den Zinseszins-Effekt bestmöglich zu Nutze machen wollen. Warum: Weil er langfristig unsere zu erwartende Rendite schmälern wird, wenn wir ihm anheim fallen. Was sollten wir also tun?
Statt regional setzen wir auf global. Es geht also darum, weltweit anzulegen. Die Rede ist von hunderten bzw. über tausend verschiedene Unternehmen. Dass dies zu möglichst geringen Kosten (wenige Prozentpunkte pro Jahr) erfolgen soll, sei der Form halber ebenfalls erwähnt.
Um die Suche abzukürzen: Wir suchen nach einem Index, wie den MSCI World. Auch – und das will ich hier in aller Klarheit festhalten – wenn es natürlich nicht zwingend der MSCI World sein muss – da gibt es durchaus gute Alternativen. Warum dann der Verweis auf den MSCI World? Unter anderem deshalb, weil hier belastbares Zahlenmaterial bezüglich der Renditen in der Vergangenheit zur Verfügung steht. Und genau darum soll es in diesem Beitrag ja gehen.
MSCI World: Renditeerwartung
Im folgenden werde ich mich auf die Recherche-Arbeit meines geschätzten Blogger-Kollegen Christian W. Röhl stützen. Denn er hat sich angesehen, was beim MSCI World in Bezug auf Renditen wirklich möglich ist. Oder um genauer zu sein: bisher langfristig möglich war. Denn es wurde der Zeitraum von 1970 bis 2020 analysiert.
Röhl richtet seinen Blick dabei auf den Net Total Return-Index. Und das aus gutem Grund! Denn dieser Index bildet die Realität bestmöglich ab. Das bedeutet konkret: Neben den Kurszuwächsen der enthaltenen Aktien, geht Röhl bei seinen Berechnungen davon aus, dass auch die Dividenden (also die Gewinn-Ausschüttungen der im Index enthaltenen Unternehmen) reinvestiert werden (was jeder vernünftige Anleger in der Vermögensaufbauphase unbedingt machen sollte) – jedoch nach Abzug der entsprechenden Steuer auf die Ausschüttungen. Realitätsnäher kann man kaum vorgehen.
Insbesondere deshalb weil auch die Kosten des Finanzprodukts von 0,2 Prozent pro Jahr eingerechnet wurden.
Doch zu welchem Ergebnis kam Röhl nun? Die Antwort lautet: Die langfristige Durchschnittsrendite liegt bei 7,0 Prozent pro Jahr. Dabei sind – wie vorher erwähnt – sowohl die Produktkosten von 0,2 Prozent als auch die Steuer für die reinvestierten Ausschüttungen bereits berücksichtigt.
Wir haben also unsere Antwort. Im Grunde könnte dieser Artikel an dieser Stelle enden. Das tut er aber nicht. Schauen wir uns an wieso.
Und was ist mit der Inflation?
Natürlich darf man bei einer realitätsnahen Betrachtung nicht vergessen auch die Geldentwertung zu berücksichtigen. Dabei hat man zwei Möglichkeiten, wobei ich eine Variante klar bevorzuge.
Variante 1 liegt darin, dass man einfach die Inflation von der oben genannten Rendite von 7,0 Prozent abzieht. Doch wo liegt diese Inflation genau? Das ist nicht eindeutig zu beantworten. Denn es gibt zwar detaillierte Zahlen – die in der Eurozone im langfristigen Mittel bei rund 2,0 Prozent liegen – doch Inflation ist etwas höchst individuelles. Aus Gründen der Einfachheit gehen wir jedoch von der erwähnten Inflationsrate von 2,0 Prozent aus (Anmerkung: Ja, aktuell ist die Inflation höher).
Die Rechnung lautet entsprechend: 7,0 Prozent Rendite minus 2,0 Prozent Inflation = 5,0 Prozent Rest. Diesen Rest kann man auch gerne als Real-Rendite bezeichnen, weil es die Rendite ist, die in der Realität als Kaufkraftzuwachs beim Anleger ankommt.
Nun klingen 5,0 Prozent natürlich deutlich weniger attraktiv als 7,0 Prozent. Verständlich. Doch man kann der Inflation durch einen kleinen Kniff zumindest ein bisschen entgegenwirken, was uns auch zu Variante 2 führen wird. Dazu müssen wir nun ein wenig ausholen.
Einmal-Investment vs. Sparplan
Beim Investieren gibt es im Grunde genommen zwei Szenarien. Entweder man will eine größere Summe auf einmal anlegen oder man startet ohne Anfangskapital und spart stattdessen regelmäßig.
Die Diskussion darüber, welche der beiden Formen bezogen auf die zu erwartende Rendite überlegen ist, ist eine akademische/theoretische. Denn die meisten Menschen stehen in der Realität schlicht nicht vor der Wahl, ob sie einen großen Betrag jetzt, oder aufgeteilt auf mehrere Tranchen investieren sollen. Es fehlt ganz einfach am Anfangskapital.
Dennoch wurden die beiden Szenarien in zahlreichen Studien eingehend untersucht und man kam am Ende auch zu einem Ergebnis. Einmal-Anlagen sind im Durchschnitt minimal erfolgreicher als Sparpläne. Wichtig: Es geht hier nicht um Größenordnungen, die ein Fazit wie “Einmalerlag gut” und “Sparplan schlecht” zulassen. Vielmehr hat der Sparplan “sehr gut” abgeschnitten und der Einmalerlag “noch eine Spur besser”. Hätten wir das also geklärt. Oder nicht. Denn Röhl hat sich auch angesehen, wie Anleger beim MSCI World mit einem Sparplan abgeschnitten hätten. Das Beste daran: Die Performance lag sogar bei 7,2 Prozent (vs. 7,0 Prozent bei Einmalerlag).
Doch kehren wir langsam zum Thema Inflation zurück. Wie man es auch dreht und wendet. Man kann sich der Inflation kaum entziehen. Der Sparplan bietet aber eine ganz gute Möglichkeit auf anderer Ebene entgegenzuwirken. Und das bringt uns zu Variante 2. So könnte man beispielsweise eine Dynamisierung der Sparsumme umsetzen.
Was bedeutet das – Dynamisierung? In unserem Kontext im Grunde nicht mehr, als das man seine Sparsumme an die Inflation anpasst. Immer noch verwirrt? Schauen wir uns das anhand eines Beispiels genauer an, das bringt Klarheit.
Wir gehen von einer Sparsumme von 100 Euro pro Monat aus. Diese 100 Euro haben im Jahr Null (also dem Jahr, wo man beginnt) eine Kaufkraft von 100 Euro. Für 100 Euro bekomme ich also beispielsweise 100 Murmeln.
Nach einem Jahr, wird die Inflation die Kaufkraft der 100 Euro jedoch um 2 Prozent gesenkt haben. Oder anders ausgedrückt, werden in Jahr Eins die Preise für alles (und damit auch für Murmeln) um 2 Prozent gestiegen sein. Das bedeutet: Im echten Leben kann ich mir im Jahr Eins mit 100 Euro nur noch 98 Murmeln kaufen.
Was jetzt kommt, ist wenig überraschend: Um sicherzustellen, dass ich im Jahr Eins kaufkraftbereinigt genauso viel Geld investiere, wie im Jahr Null muss ich den monatlichen Sparbetrag auf 102 Euro erhöhen. In den Folgejahren wären es dann entsprechend 104,4 Euro, 106,12 Euro, 108,24 Euro und so weiter.
Den kompletten Effekt der Inflation kann man damit zwar nicht abfedern aber immerhin einen Teil. Und es spricht ja auch nichts dagegen (sondern einiges dafür), die Dynamisierung deutlich oberhalb der Inflation einzurichten!
Leseempfehlung(en) zum Weltspartag
Zum Abschluss möchte ich noch einmal die Möglichkeit nutzen, mich bei der überragenden Arbeit von Christian Röhl zu bedanken. Was er für die Anlegerkultur im deutschsprachigen Raum seit vielen Jahrn tut, sucht seinesgleichen. Chapeu!
Sein Buch Cool bleiben und Dividenden kassieren zählt längst zu den Klassikern der hiesigen Finanzliteratur. Und wer will, kann ja auch sein neues Buch vorbestellen: Es heißt Cool bleiben und NOCH MEHR Dividenden kassieren. Ganz schön kreativ 😉
In diesem Sinne wünsche ich allen Lesern noch einen schönen Weltspartag 2021. Es wird Zeit das Sparbuch Sparbuch sein zu lesen und auf einen Sparplan zu wechseln.
PS: Ich habe in den letzten beiden Jahren über 200 Sachbücher gelesen. Dieses hier ist das Beste!
Pingback: Die 4-Prozent-Regel: Wie viel Geld man für die finanzielle Freiheit braucht