Der homo oeconomicus ist tot!

Homo oeconomicus
Daniel Kahneman wusste es zuerst: Der Homo oeconomicus ist nur eine Idee…

 

Psychologe, Wirtschaftswissenschaftler, Nobelpreisträger. So würde ich den genialen Daniel Kahneman beschreiben, wenn ich nur drei Wörter zur Verfügung hätte. Eines seiner Bücher hat meine Welt verändert. Seither denke ich völlig anders übers Denken. Und das wirkt sich auch auf mein Handeln aus.

 

Wenn ein Buch auf diesem Blog einen eigenen Beitrag bekommt, dann gehe ich gerne in die Vollen. Es muss insbesondere drei Kriterien erfüllen. Diese wären:

 

  1. Es muss mein Leben und Denken nachhaltig verändert haben.
  2. Ich muss es jedem zur Lektüre empfehlen können.
  3. Ich muss es mindestens fünfmal gelesen haben.

 

All diese trifft auf Schnelles Denken, langsames Denken zu. Autor ist Daniel Kahneman, der leider im März dieses Jahres (2024) von uns gegangen ist. Eines ist sicher: Daniel Kahneman wird nicht vergessen werden. Zu viel hat er uns hinterlassen.

 

Arbeiten vs. lesen

Ich habe lange überlegt, wo ich anfangen soll. Am besten beim Buchtitel. Denn dieser ist besser gewählt, als man zunächst meinen sollte. Denn während Rich Dad, Poor Dad von Robert Kiyosaki (dem ich hier eine umfangreiche Buchbesprechung gewidmet habe) einen gerade, dann in seinen Bann zieht, wenn man das Buch noch nicht gelesen hat, verhält es sich bei Schnelles Denken, langsames Denken umgekehrt.

Da arbeitet man sich durch das Buch – und am Ende denkt man sich: Was für ein passender Titel. Apropos arbeiten: Dieses Buch kann man nicht so einfach nur konsumieren. Man muss wirklich viel Hirnschmalz reinstecken. 

Wer es einfacher, aber nicht minder genial will, sollte zu Rolf Dobelli bzw. Die Kunst des klaren Denkens greifen. Dieses Buch erfüllt übrigens ebenfalls die obigen drei Kriterien. Und ist sicherlich der barrierefreie Einstieg in die Welt des menschlichen Denkens und Handelns. Doch zurück zu Daniel Kahneman.

 

Schnell vs. Langsam

Es geht in seinem Meisterwerk also um das menschliche Denken. Oder besser gesagt, um die beiden Arten, wie Menschen denken. Einerseits schnell, andererseits langsam. Das klingt banal, ist es aber mitnichten. Zunächst wollen wir jedoch definieren, was genau schnelles und was langsames Denken überhaupt bedeutet.

Mit schnellem Denken beschreibt Daniel Kahneman das intuitive Denken. Es ist für den Menschen nicht besonders aufwändig. Es ist also extrem effizient, bietet uns aber dennoch oft sehr gute Ergebnisse.

Das langsame Denken hingegen ist rational. Klingt gut. Aber es ist eben langsam und sehr ressourcenintensiv. Ein Beispiel soll zeigen, was damit gemeint ist.

 

Das Baseball-Beispiel

Folgendes Beispiel verdeutlicht die Unterschiede. Damit es gut funktioniert, bitte ich dich völlig intuitiv (also schnell) auf folgende Frage antworten:

 

Ein Baseball und ein Baseballschläger kosten gemeinsam 1,10 Euro. Der Schläger ist um 1 Euro teurer als der Ball. Wie viel kostet der Ball?

 

Solltest du spontan antworten, wie die meisten Menschen, dann sagst du: Der Schläger kostet 1 Euro. Das ist jedoch falsch.

 

Wer es genauer wissen will, bemüht sein langsames Denken. Der exakte Prozess ist vermutlich von Mensch zu Mensch verschieden. Aber vielleicht denkt man folgendes:

 

x = Preis Ball

x + 1 Euro = Schläger 

 

x + (x+1,00) = 1,10 | wir formulieren um

2x + 1,00 = 1,10 | wir ziehen 1,00 ab

2x = 0,10 | wir dividieren durch 2

x = 0,05 | wir erhalten schließlich…

 

0,05 (Ball) + 1,05 (Schläger) = 1,1

 

Der Ball kostet also 0,05 Euro, der Schläger 1,05 Euro. Macht in Summe 1,1 Euro.

Das Beispiel zeigt: Wenn wir schnell denken, erhalten wir eine Antwort, die zwar relativ nah an der richtigen Lösung ist. Aber trotzdem falsch.

Wenn wir es genau wissen wollen, dann müssen wir langsam denken. Doch genau hier liegt das Problem.

 

Wann soll ich wie denken?

Jetzt denkt man vielleicht intuitiv (Achtung: Schnelles Denken!): Man muss sich allen Fragen des Lebens rational nähern. Doch wenn man länger darüber nachdenkt (langsames Denken), kommt man zu dem Schluss, dass dies völlig unpraktikabel ist.

Das liegt nicht nur darin begründet, dass wir Menschen bis zu 20.000 Entscheidungen pro Tag treffen. Sondern auch daran, dass zwischen 85 und 95 Prozent dieser Entscheidungen unbewusst getroffen werden.

Wenn man voraussetzt, dass ein Mensch rund 8 Stunden am Tag schläft, bleiben 16 Stunden übrig. Das sind 960 Minuten oder 57.600 Sekunden. Bei 20.000 Entscheidungen pro Tag bleiben einem also nicht mehr als knapp 3 Sekunden pro Entscheidung. Das zeigt eindrucksvoll: Mit langsamen Denken kommt man nicht weit. Zum Glück nehmen uns Gewohnheiten, denen sich James Clear eindrucksvoll in die 1-Prozent-Methode (hier eine ausführliche Buchbesprechung) gewidmet hat, eine Vielzahl der Entscheidungen ab bzw. verlagern sie ins Unbewusste.

Doch hier enden die Probleme noch lange nicht.

 

Große Fragen, langsames Denken

Jetzt gibt es Dinge, die geradezu danach schreien, vom langsamen Denken gelöst zu werden. Etwa Geldfragen. Doch auch hier ist es nicht ganz so einfach, wie folgendes Beispiel verdeutlichen soll:

Sehen wir uns zwei Szenarien an:

 

  1. Man erhält 1.000 Euro. Danach muss man entscheiden, ob man weitere 500 Euro sicher haben möchte – oder lieber die 50/50-Chance auf zusätzliche 1.000 Euro.
  2. Man erhält 2.000 Euro. Danach muss man entscheiden, ob man lieber einen sicheren Verlust von 500 Euro – oder lieber die 50/50 Chance auf 1.000 Euro Verlust wahrnehmen möchte.

Wenn man sich die Szenarien durchdenkt, gleichen sie einander fast völlig. Die “sichere” Option garantiert 1.500 Euro. Die risikoreiche Option bietet die gleichwahrscheinlichen Möglichkeiten auf 1.000 Euro bzw. 2.000 Euro.

Wären wir rationale Wesen, würden wir also in beiden Szenarien die gleiche Wahl treffen (Sicherheit vs. Risiko). Doch so ticken die meisten von uns nicht.

Denn in der Realität entscheiden sich die meisten Menschen im ersten Beispiel für die Sicherheitsvariante (1.000 Euro fix + 500 Euro fix).

Im zweiten Szenario entscheiden sich die meisten für das Risiko (2.000 fix minus 50/50 auf 0 bzw. 1.000 Euro Verlust).

Wie sieht es bei dir aus? Und warum entscheiden wir so irrational? Darauf hat Daniel Kahneman gleich mehrere Antworten.

 

Große Fragen, Kahnemans Antworten

Der Autor von Schnelles Denken, langsames Denken beruft sich auf die von ihm begründete Erwartungstheorie (Prospect Theory). Drei Gründe hat er dabei identifiziert.

  1. Die Verlustaversion: Wir haben mehr Angst vor Verlusten, als uns die Aussicht auf Gewinne erfreut.
  2. Die Orientierung am Referenzpunkt. Dieser liegt bei Version 1 bei 1.000 Euro – bei Version 2 des Beispiels bei 2.000 Euro.
  3. Wahrgenommener Wert vs. objektiver Wert: Zwar ist der absolute Rückgang (in Euro) von 1.000 Euro auf 500 Euro genauso groß wie jener von 2.000 Euro auf 1.500 Euro. Wir nehmen den Rückgang von 1.000 Euro auf 500 Euro aber intensiver wahr. (was ja irgendwo auch stimmt: minus 50 Prozent vs. minus 25 Prozent).

 

Und was lernen wir daraus?

Für mich war schon nach der ersten Lektüre von Schnelles Denken, langsames Denken klar: Der homo oeconomicus ist tot. Und Daniel Kahneman hat ihn am Gewissen. Es werden hier einfach zu viele Erkenntnisse und Beispiele mit dem Leser geteilt, die einem den Mund offen stehen lassen. 

Am Ende stellt sich die alles entscheidende Frage: Was können wir aus Daniel Kahnemans Erkenntnissen lernen? Sokrates wird folgendes Zitat zugewiesen: Ich weiß, dass ich nichts weiß. Und vermutlich liegt genau hier der eigentliche Nutzen dieses Meisterwerks.

Schnelles Denken, langsames Denken soll zum Nachdenken anregen. Sich stets die Frage zu stellen, wie man auf die verschiedenen Herausforderungen des Lebens adäquat reagieren soll, kann schon ein riesiger Fortschritt sein. Und es kann ein großer Lehrmeister in Sachen Demut sein. 

Und diese ist auch in Sachen Geld sehr oft ein unschätzbar wertvoller Ratgeber. 

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