Wie viel Vermögen ist genug? Für so manch einen lautet die Antwort: Wenn man Fuck You Money erreicht hat. Also genug finanzielle Mittel, um im Bedarfsfall zu allem und jedem Fuck You sagen zu können. Dazu benötigt es klarerweise sehr viel Geld. Doch Achtung. Hat man zu viel davon, war es das mit dem Fuck You.
Nassim Nicholas Taleb ist nicht nur ein großartiger Autor (unter anderem von Der Schwarze Schwan), sondern auch ein Mann, der großen Wert darauf legt, seine Meinung offen kundzutun. Außerdem ist er ziemlich reich. Als Optionstrader, der auf extrem seltene Ereignisse an den Finanzmärkten setzt (siehe obige Buchempfehlung) und Bestsellerautor hat er ein Privatvermögen von rund 100 Millionen US-Dollar angehäuft.
Wer Taleb auf Twitter folgt, weiß, dass er sich kein Blatt vor den Mund nimmt. Wenn ihm etwas oder jemanden nicht passt, sagt er (im übertragenen Sinne) einfach “fuck you”. Apropos – zum Thema Fuck You Money hat er folgendes zu sagen:
Geld kann zwar kein Glück kaufen, aber die Abwesenheit von Geld kann Unglück verursachen. Geld kauft Freiheit: geistige Freiheit, Freiheit zu wählen, wen man wählen will, sich auszusuchen, was man beruflich machen möchte. Aber das zu haben, was ich „fuck you money” nenne, erfordert eine enorme Menge an Disziplin. In dem Moment, in dem du fuck you money auch nur einen Cent überschreitest, verlierst du deine Freiheit wieder.
Doch was meint Taleb damit konkret? Widerspricht er damit nicht der allgemein akzeptierten Idee von Fuck You Money? Berechtigte Frage. US-Finanzblogger Jack Raines ist dem Ganzen auf die Spur gegangen. Und hat dabei einige interessante Aspekte herausgearbeitet.
Fuck You Money ist individuell
Die meisten von uns sehen in FYM einen Mindestbetrag. Hat man diesen erst einmal erreicht, könnte man rein theoretisch stets all das sein lassen, worauf man keine Lust hat. Statt es zu tun, sagt man einfach, FU. Diese Vorstellung ist verführerisch. Denn viel mehr Unabhängigkeit und Autonomie geht gar nicht.
Ähnlich sieht es auch der zuvor erwähnte Jack Raines vom lesenswerten Blog Young Money. Ich war so frei und habe mich bei den folgenden Grafiken an seinen Vorlagen orientiert.
So – oder so ähnlich – stellen sich die meisten FYM vor. Die Realität sieht laut Jack Raines aber anders aus. Dort wären keine geraden Linien zu sehen, die man einfach in alle Ewigkeit weiterziehen könnte. Das echte Leben sei viel komplexer und chaotischer.
Raines und Taleb sind sich dementsprechend einig: FYM ist kein einzelner Punkt, den man einfach zu überschreiten braucht, sondern eine Spanne, in der man bleiben muss. Und so schaut dies in einer Grafik aus.
Nur ein Euro zu viel, und man verlässt den Bereich wieder. Heißt: Zusätzlicher Reichtum geht zu Lasten der Freiheit. Klar, man ist zwar finanziell reicher. FYM hat man dann aber nicht mehr.
Kein Vermögen zu haben ist sch***e
In der Finanzcommunity herrscht weitgehend Einigkeit. Geld hat einen abnehmenden Grenznutzen. Was das bedeutet, kann man schematisch in folgender Grafik sehen. Auf den beiden Achsen sind Vermögen vs. Glück und Zufriedenheit abgebildet:
Zwei Dinge fallen sofort auf. Zum einen, dass die ersten Schritte beim Vermögensaufbau zu einem extrem starken Glücksanstieg führen. Zum anderen, dass die Anstiege kaum noch spürbar sind, sobald man viel Vermögen hat.
Doch machen wir noch einmal einen Schritt zurück. Und schauen in der Grafik nach links unten. Wir erkennen, dass das eigene Glücksempfinden extrem niedrig ist, wenn das eigene Vermögen sich auf Null beläuft. Das kommt nicht gerade überraschend. Denn…
…wer keine finanziellen Reserven hat, wird früher oder später Probleme bekommen. Etwa wenn das Auto kaputt geht.
…wer wenig verdient, und sich keinen Sicherheitspuffer aufbauen kann, wird früher oder später (in finanzieller Hinsicht) vom Glück verlassen. Und landet sehr oft in der Schuldenfalle.
Jack Raines packt es in ein einprägsames Bild. Wer von Paychek-to-Paycheck lebt, läuft mit seinen Schlittschuhen auf dünnem Eis. Je länger man fährt, desto wärmer wird das Eis. Irgendwann wird das Eis ganz unweigerlich brechen.
Und noch ein weiterer Punkt spricht ganz stark dafür, Vermögen aufzubauen: Wer keine finanziellen Reserven hat, legt sein Leben in die Hand von externen Umständen. Und auf die hat man nun einmal keinen Einfluss. Je besser man lernt, mit Geld umzugehen, desto unabhängiger macht man sich von äußeren Faktoren. Oder anders formuliert: Wer gut mit Geld umgeht, lässt die finanzielle Opferrolle hinter sich.
Zu reich zu sein, kann auch sch***e sein
Würdest du gerne mit Elon Musk tauschen? Er gehört mit über 200 Milliarden US-Dollar Privatvermögen immerhin zu den reichsten Menschen der Erde. Seine unternehmerischen Leistungen sind weithin anerkannt. Über seine privaten Eskapaden hüllen wir (zunächst) aber lieber den Mantel des Schweigens.
Doch so ganz grundsätzlich. Würdest du rein vom Geld her nicht tauschen wollen? Du könntest leben, wo du willst. Dates haben, mit wem du willst. Die Welt würde deinen Namen kennen und du würdest als eine der größten Persönlichkeiten des 21. Jahrhunderts in die Geschichte eingehen.
Wenn du jetzt spontan ja gesagt hast, solltest du deine Antwort vielleicht noch einmal überdenken. Denn folgendes wurde 2018 über Elon Musik in der New York Times geschrieben. (wer es nicht lesen will – einfach den englischen Teil überspringen)
In an hourlong interview with The New York Times, he choked up multiple times, noting that he nearly missed his brother’s wedding this summer and spent his birthday holed up in Tesla’s offices as the company raced to meet elusive production targets on a crucial new model. Asked if the exhaustion was taking a toll on his physical health, Mr. Musk answered: “It’s not been great, actually. I’ve had friends come by who are really concerned.”
NYT (1)
He said he had been working up to 120 hours a week recently — echoing the reason he cited in a recent public apology to an analyst whom he had berated. In the interview, Mr. Musk said he had not taken more than a week off since 2001, when he was bedridden with malaria. “There were times when I didn’t leave the factory for three or four days — days when I didn’t go outside,” he said. “This has really come at the expense of seeing my kids. And seeing friends.”
NYT (2)
Mr. Musk stopped talking, seemingly overcome by emotion. He turned 47 on June 28, and he said he spent the full 24 hours of his birthday at work. “All night — no friends, nothing,” he said, struggling to get the words out. Two days later, he was scheduled to be the best man at the wedding of his brother, Kimbal, in Catalonia. Mr. Musk said he flew directly there from the factory, arriving just two hours before the ceremony. Immediately afterward, he got back on the plane and returned straight to Tesla headquarters, where work on the mass-market Model 3 has been all consuming.
Mr. Musk paused again.
“I thought the worst of it was over — I thought it was,” he said. “The worst is over from a Tesla operational standpoint.” He continued: “But from a personal pain standpoint, the worst is yet to come.”
NYT (3)
Die komplette Übersetzung spare ich mir. Nur so viel. Elon Musk hätte beinahe die Hochzeit seines Bruders verpasst. Gesundheitlich war er zum Zeitpunkt des Interviews (2018) in einem schlechten Zustand. 120 Stunden Arbeitswochen waren keine Seltenheit. Seit 2001 hatte er nicht mehr länger als eine Woche am Stück von der Arbeit freigenommen. Und das war wegen einer Malaria-Erkrankung. Mehrfach habe er die Tesla-Fabrik für drei oder vier Tage hintereinander nicht verlassen. Das ging auf Kosten der Zeit, die er mit seinen Kindern und Freunden verbringen konnte, wie er selbst geknickt zugab. Seinen 47. Geburtstag verbrachte er in der Arbeit, ohne zu feiern. Zur Hochzeit seines Bruders, auf der er Trauzeuge war, flog er direkt mit dem Privatjet. Zwei Stunden vor der Trauung traf er ein. Direkt nach der Zeremonie flog er wieder zurück. Das Tesla Model 3 benötigte seine Aufmerksamkeit.
Klingt das wie ein Leben, das man sich von Fuck You Money erhofft? Nein. Es klingt viel eher erschreckend.
Natürlich könnte man Musk als extreme Ausnahme einstufen? Doch ist sie das wirklich? Wenn wir uns auf die Betrachtung der Ultrareichen beschränken, gibt es durchaus Hinweise, dass dies nicht der Fall ist. So erklärt die Autorin Alice Schroeder in ihrem sensationellen Buch über Warren Buffett (The Snowball):
Als die Kinder erwachsen wurden und auszogen, zog auch Warrens Ehefrau Susie aus. Sie ging nach San Francisco. Susie und Warren lebten 27 Jahre lang getrennt. Die beiden telefonierten zwar weiterhin ausgedehnt miteinander. Das änderte aber nichts daran, dass Warren Buffett es (Anmerkung: die Trennung) für den größten Fehler seines Lebens hielt. „Er irrte ziellos im Haus umher und konnte sich kaum selbst etwas zu essen machen oder passende Kleidung finden.“ So beschreibt es die Autorin Schroeder. (fun fact: Susie bat ihre Bekannte Astrid Menks, die Erfahrung in der Gastronomie hatte, regelmäßig nach Warren zu sehen. Sie kümmerte sich um ihn. Als Susie 2004 verstarb, heiratete Warren dann Astrid).
Vielleicht ist Buffett nach Musk der nächste Einzelfall. Folgendes spricht jedoch dagegen: Im Mai 2021 wurde eine interessante Statistik veröffentlicht. Die zehn reichsten Männer der Welt hatten zusammengerechnet 13 Scheidungen hinter sich. Nur Mark Zuckerberg und Larry Page waren noch mit ihren ursprünglichen Frauen verheiratet.
Opfer des eigenen Erfolgs?
Man könnte frech fragen: Haben Elon Musk etwa seine vielen Milliarden unglücklich gemacht? Sind die Ehen von Warren Buffett, Bill Gates und Jeff Bezos gescheitert, weil sie mehr als 100 Milliarden US-Dollar schwer waren? Nicht unbedingt. Denn man sollte niemals Korrelationen mit Kausalitäten miteinander verwechseln.
Es scheint jedoch so, als ob jene persönlichen Eigenschaften, die Buffett, Gates und Bezos finanziell und beruflich so erfolgreich gemacht haben, die anderen Aspekte ihres Lebens massiv beeinträchtigt hätten.
Das überrascht nicht wirklich. Denn alle Menschen müssen damit zurechtkommen, dass Zeit und Energie nur begrenzt zur Verfügung stehen. Wenn man nun alle persönlichen Ressourcen in die eigene Karriere steckt, darf man sich nicht wundern, wenn das Privatleben darunter leidet.
Auch hier hat Jack Raines eine Theorie. Und unterteilt dabei zur Veranschaulich das Leben in fünf Teilbereiche. Das Dilemma dabei: Aus den fünf Punkten kann man lediglich drei wählen.
Im Leben der „supererfolgreichen“ Menschen, sieht das Bild jedoch so aus:
Was lernen wir daraus? Unser aller Leben ist charakterisiert von Opportunitätskosten. Die Höhepunkte des beruflichen Erfolgs gehen leider oftmals auf Kosten eines glücklichen Familienlebens.
Achtung: Fremdschämen!
Doch die Ultrareichen werden nicht nur von Opportunitätskosten heimgesucht. Es gibt auch andere Bereiche des Lebens, die davon betroffen sind. Und so schließt sich langsam der Kreis zum Thema Fuck You Money.
Ein Beispiel: Weder Österreich noch Deutschland erkennen Taiwan als eigenständiges Land an. Doch wenn heute jemand aus deinem Bekanntenkreis sagen würde: Taiwan ist ein Land. Welche Gefühle löst das in dir aus? Es wird dir vermutlich völlig egal sein. Dein Bekannter müsste wohl keinerlei negative Folgen befürchten. Keine soziale Ächtung, keine finanziellen Nachteile. Es gäbe keinen Druck, sich dafür zu entschuldigen.
Doch dies gilt nicht für alle. Als der Wrestler und Schauspiel-Superstar John Cena ohne böse Hintergedanken sagte: “Taiwan wird das erste Land sein, das Fast and Furious 9 zu sehen bekommt”, wurde er von China zu einem Entschuldigungsvideo gezwungen, das jede Fremdschämskala sprengt. Hier das Video dazu. Nur zur Erinnerung. John Cena ist rund 80 Millionen US-Dollar schwer.
Ein weiteres Beispiel: Der damalige General Manager des NBA-Teams Houston Rockets Daryl Morey hatte im Oktober 2019 auf Twitter seine Unterstützung für Hong Kong geäußert – und verlor deshalb beinahe seinen Job.
China drohte damit, die Mediencoverage der NBA im eigenen Land massiv einzuschränken, unter anderem alle Spiele der Houston Rockets. Wie auch Cena, musste sich Morey öffentlich entschuldigen. Wie man sieht: Ab einem gewissen Punkt fordert der persönliche Erfolg nicht nur familiäre Opfer. Sondern geht auch auf Kosten der eigenen Meinungsfreiheit.
Genau das hat Nassim Taleb mit seinem Statement am Anfang dieses Beitrags wohl gemeint.
Lieber unter dem Radar fliegen
In einem früheren Beitrag habe ich über die Vorteile von Stealth Wealth geschrieben. Viele Menschen vermeiden es, ihren Reichtum zu zeigen, aus Angst vor negativen Folgen.
Ein sehr enger Freund von mir, der in den letzten Jahren dank Krypto durchaus Fuck You Money gemacht hat, wird regelmäßig von vermeintlichen neuen “Freunden” schon nach kurzer Zeit gebeten, sich finanziell an deren “Projekten” zu beteiligen. Andere Menschen mit viel Geld befürchten, dass ihr Vermögen die Partnerwahl negativ beeinflussen könnte. Selbst Familienmitglieder stellen plötzlich finanzielle Forderungen. Geld hin, Geld her. Angenehmen Situationen sehen anders aus.
Problematisch ist daher weniger das eigene Vermögen, sondern vielmehr der öffentlich zur Schau gestellte Reichtum. Dieser kann einen ebenso einschränken, wie wenn man völlig mittellos wäre. Denn für beide gilt: Externe Faktoren können Einfluss darauf nehmen, was man tun kann. Und was man nicht tun kann. Von Fuck You Money da wie dort keine Spur.
Joe Rogan (ca. 120 Millionen Dollar schwer) sagte in einem Podcast mit Lex Friedman:
“Ich habe, was man gemeinhin unter Fuck You Money versteht. Doch was bringt mir Fuck You Money, wenn ich niemals Fuck You sage? Dann nutzt es mir doch gar nichts. Es wäre verschwendet.”
Das klingt zwar zunächst unsympathisch – was durchaus der Marke von Joe Rogan entspricht – und hat dennoch einen wahren Kern. Denn auch ich strebe nach Fuck You Money. Bloß sagen will ich die beiden Worte nicht. Denken und entsprechend handeln, reicht mir im Bedarfsfall völlig.