Verluste schmerzen mehr, als Gewinne erfreuen. Diese Erkenntnis ist viel mehr als nur eine Binsenweisheit. Vielmehr wurde sie sogar mit dem Nobelpreis belohnt. Und das völlig zurecht.
Daniel Kahneman und Amos Tversky haben eines der besten Sachbücher aller Zeiten geschrieben. Es heißt Schnelles Denken, Langsames Denken. Und ich empfehle es jedem mit Nachdruck zur Lektüre, der gerne für den Rest seines Lebens bessere Entscheidungen treffen will.
Einer von vielen Punkten, die in diesem Meisterwerk von den beiden Autoren abgehandelt werden (und für die ihnen schließlich der Nobelpreis verliehen wurde), bezieht sich auf unseren Umgang mit Risiko. Oder besser gesagt: Mit unserer Angst vor Verlusten.
Aus Angst vor Verlusten, machen wir keine Gewinne
Kahneman und Tversky nennen das Ganze Verlust-Aversion. Auf Wikipedia bekommt man einen guten Überblick worum es geht:
Verlustaversion (Verlust-Aversion, englisch: loss aversion) bezeichnet in der Psychologie und Ökonomie die Tendenz, Verluste höher zu gewichten als Gewinne.
Verwirrt? Kein Problem. Ein Münzwurf eignet sich perfekt für die Veranschaulichung des Konzeptes. Denn es gibt dabei nur zwei Möglichkeiten. Die Chancen auf Kopf oder Zahl liegen bei exakt 50 Prozent (wenn man ausschließt, dass die Münze auf der Kante zum Stillstand kommt).
Die Chancen stehen also 50-50. Keiner hat beim Münzwurf einen statistischen Vorteil, keiner einen Nachteil. Und dennoch:
Wenn du tickst wie die allermeisten, wirst du mit mir in einem realen Spiel nicht um 100 Euro wetten wollen, ob Kopf oder Zahl kommt. Warum? Ganz einfach:
Für dich wiegt die Aussicht darauf 100 Euro zu verlieren viel schwerer als die potenziellen 100 Euro Gewinn.
Das ändert sich bei den meisten auch nicht, wenn ich dir beim Münzwurf 150 Euro bei Gewinn Aussicht stelle, du aber weiterhin nur 100 Euro verlieren könntest.
Erst bei 200 Euro Gewinn (vs. 100 Euro Verlust) wendet sich das Blatt. Hier sind die meisten Menschen bereit, auf den Münzwurf einzugehen. Bei manchen liegt die Hemmschwelle, um die Wette tatsächlich einzugehen, noch höher. Nämlich bei 400 Euro.
Das ist rein mathematisch betrachtet natürlich völlig irrational. Eigentlich sollte man das Spiel ab 101 Euro Gewinn eingehen. Doch es gibt sogar noch viel krassere Erkenntnisse in der Forschung, welche den Effekt und die Auswirkungen der Verlust-Aversion belegen. Und die wollen wir uns jetzt ansehen.
Gewinne begrenzen, Verluste laufen lassen
An der Börse gibt es eine Weisheit, die folgendermaßen lautet:
Lass deine Gewinne laufen und begrenze deine Verluste.
Klingt einfach. Ist aber schwer. Das liegt daran, dass es bei den meisten Menschen schlicht anders herum im Kopf verankert ist. Das legt jedenfalls folgendes Forschungsergebnis nahe:
In einem Experiment, das du jetzt gerne live mitmachen kannst, wurden den Befragten zunächst folgende beiden Auswahlmöglichkeiten gegeben.
Entweder
1. Du bekommst fix 500 Euro.
Oder
2. Du bekommst eine 50-prozentige Chance auf 1.000 Euro bzw. eine 50-prozentige Chance auf 0 Euro. Hier könnte beispielsweise ein Münzwurf zur Anwendung kommen.
Wenn du tickst wie die meisten Menschen, dann wählst du Option A. Also die sicheren 500 Euro. So weit, so klar.
Das Experiment ist aber noch nicht vorbei. Im Nachgang wurden den Befragten folgende beiden Auswahlmöglichkeiten gegeben.
Entweder
1. Du verlierst fix 500 Euro.
Oder
2. Du bekommst eine 50-prozentige Chance 1.000 Euro zu verlieren bzw. eine 50-prozentige Chance 0 Euro zu verlieren. Auch hier könnte man einen Münzwurf entscheiden lassen.
Denk jetzt bitte kurz darüber nach, wie du entscheiden würdest. Fertig? Sehr gut. Wenn du tickst wie die meisten, dann wählst du Option D.
Bei genauer Betrachtung stellt sich heraus, dass sich die Optionspaare A-B und C-D gleichen. Der kleine Unterschied: Bei A-B geht es um Gewinne, bei C-D geht es um Verluste. Die Ergebnisse der Studie sind klar:
Menschen begrenzen ihre Gewinne ganz intuitiv (Neigung zu Option A), während sie die Verluste laufen lassen (Neigung zu Option D).
Genau deshalb ist es so schwer, sich an die Weisheit von oben zu halten, also Gewinne laufen zu lassen und Verluste zu begrenzen.
Wer das Spiel nicht spielt, zahlt drauf
Die Börse ist zwar kein Spiel im klassischen Sinne. Aber wenn wir die Analogie beibehalten wollen, dann könnten wir sagen, dass langfristiges Investieren für einen wiederkehrenden Münzwurf steht, der einen stets stärker belohnt als er einen bestraft. Also bei jedem Sieg deinerseits ein bisschen mehr gibt, als er dir bei einer Niederlage nimmt.
Je länger du dieses Spiel spielst, desto höher wird der Gewinn ausfallen.
Wer rational mit seinem Geld umgeht, hat dies erkannt. Und er oder sie nutzt diesen Vorteil. Wer sich jedoch von seinen Gefühlen – also der Verlust-Aversion – leiten lässt, der spielt das Spiel trotz aller Vorteile gar nicht erst. Ein teurer Fehler.
Denn die Gebühr, um überhaupt am Spieltisch sitzen zu dürfen, bezahlt man in Form von Inflation auf jeden Fall.
Verlustaversion überwinden: Theorie und Praxis
Was kann man also tun? Man könnte entweder jedes Mal wenn man ein Spiel zweifelsfrei als zum eigenen Vorteil konstruiert erkennt, dieses auch spielen. Klingt ganz gut. Zumindest theoretisch.
In der Praxis jedoch viel hilfreicher: Man automatisiert seine Investments so gut es geht. Und zwar mittels Sparplan. Um beim obigen Beispiel zu bleiben: Man würfelt nicht selbst, sondern lässt (die Technik) im Hintergrund einfach so oft wie möglich automatisiert würfeln. Von den einzelnen Siegen und Niederlagen bekommt man nichts mit. Man merkt nur, dass das eigene Geld langfristig immer mehr wird. Eine psychologisch betrachtet sehr komfortable Situation.
Denn wer die Rückschläge an der Börse nicht wahrnimmt, hat gewisse Vorteile:
Aus: “Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß” wird in weiterer Folge “Günstig kaufen, teuer verkaufen”. Auch so eine Börsenweisheit. Der wir uns bestimmt irgendwann in einem anderen Artikel widmen werden.
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