Buy the fucking dip! No-Brainer oder fataler Fehler?

Buy the fucking dip
Bei Kursrückschlägen zu kaufen, macht ganz intuitiv Sinn. Aber hält es auch einer wissenschaftlichen Betrachtung Stand?

 

Die Inflation bleibt hoch. Die Zinsen steigen immer schneller immer weiter. Kein gutes Umfeld für Aktienkurse. Es geht bergab, der Bärenmarkt ist hartnäckiger als geglaubt. Sollte man diese Krise nun als Chance nutzen? Also den fucking dip kaufen? Wir klären heute, ob es sich dabei um einen No-Brainer oder einen fatalen Fehler handelt.

An der Börse gibt es ein viel zitiertes Sprichwort. Wer es zuerst gesagt hat, weiß niemand so genau. Seiner Popularität tut das aber keinen Abbruch. Denn es geht einfach viel zu gut ins Ohr.

 

Buy the fucking dip!

 

Oder auf Deutsch: Kauf den verdammten Kursrücksetzer. Nachdem es an der Börse langfristig (!) immer bergauf gegangen ist, ist das eine Idee, die schon ganz intuitiv Sinn ergibt. Nun ist Intuition eben das eine, belastbare Zahlen sind jedoch oft etwas ganz anderes. Ich persönlich verlasse mich in Geldfragen jedenfalls lieber auf harte Fakten.

Dies hat sich auch Nick Maggiulli von “Of Dollars And Data” gedacht. Und ist dem Mythos rund um den Dip hier auf die Spur gegangen. Ich will die hochinteressanten Ergebnisse seiner statistischen Untersuchungen jetzt gerne mit euch teilen.

 

Der Dip ist da! Was soll ich tun?

Egal ob auf Social Media, Reddit oder anderen Finanz-Apps mit großen Communities. Selbst erfahrene Anlegerinnen und Anleger stellen immer wieder folgende Frage: 

 

Wäre es bei Kursrückgängen nicht besser, mehr Geld zu investieren?

 

Gehen wir zur Veranschaulichung von jemandem aus, der schon jetzt ordentlich Skin in the Game hat, wie es Nassim Nicholas Taleb bezeichnen würde: Also mit einem beachtlichen, monatlichen Sparbetrag unterwegs ist. Wenn diese Person nun normalerweise 500 Euro im Monat investiert, sollte sie dann auf 1.000 Euro im Monat erhöhen, wenn der Markt 20 oder 30 Prozent gefallen ist?

Wie eingangs erwähnt: Rein intuitiv betrachtet macht das Sinn. Immerhin sind die meisten Kurskorrekturen eher kurzlebig. Folgerichtig wäre das Kaufen nach Rücksetzern doch eigentlich das Gleiche, wie mit einem Rabatt einzukaufen. Und was sollte daran falsch sein?

Genau dieser Frage ist Nick Maggiulli auf den Grund gegangen. Seine Ergebnisse deuten auf folgendes Ergebnis hin: Die These des “Buy the fucking dip” wird von historischen Daten nur dann eindeutig gestützt, wenn wir über extreme Kursrückgänge sprechen. 

 

Der S&P 500 seit 1926

Nick Maggiulli hat den US-Aktienindex S&P 500 untersucht und ist dabei bis ins Jahr 1926 zurückgegangen. Das Ergebnis seiner Analyse: Gesteigerte Renditen zeigen sich nur dann, wenn außerordentlich starke Kursrückschläge eingetreten sind. Heißt: Minus 40 Prozent oder mehr

Doch wie kommt er zu dieser Schlussfolgerung? Achtung, jetzt wird es ein wenig kompliziert: Er hat die auf solch einen Absturz folgenden annualisierten Renditen im Ein-, Drei- und Fünfjahres-Zeitraum beim S&P 500 (in US-Dollar) betrachtet und sie nach Drawdown-Level (also dem Ausmaß des Rückschlags) geordnet.

Immer noch verwirrt? Kein Problem. Es leuchtet ein, sobald wir uns die Grafik von Nick Maggiulli ansehen.

 

S&P 500
S&P 500

 

Auf der vertikalen y-Achse sieht man die Höhe der annualisierten Renditen. Was das konkret bedeutet, wird ganz unten im Artikel erklärt.

Auf der horizontalen x-Achse sieht man drei Zeitebenen. Und zwar 1 Jahr, 3 Jahre und 5 Jahre.

 

Schon auf den ersten Blick lässt sich etwas ganz Bestimmtes erahnen. Nämlich dass sich die drei blass gehaltenen Balken in allen drei Zeiträumen auf ziemlich ähnlichen Rendite-Niveaus befinden. Oder anders formuliert: Die durchschnittliche jährliche Performance des S&P 500 (inklusive Dividenden, exklusive Inflation) liegt bei ziemlich genau 13 Prozent. Das ist auch in den Jahren so, wo es zu Drawdowns von 20 oder 30 Prozent gekommen ist. Egal ob auf Ein-, Drei oder Fünfjahres-Basis. Das bedeutet: Es bringt keinen Rendite-Vorteil, wenn man bei solchen Kursrücksetzern mehr Geld investiert.

Spannend wird es jedoch in den Jahren, wo die Märkte um 40 Prozent (von All-Time-Highs) oder mehr gefallen sind (die dunkelroten Balken). An diesem Punkt ist der Vorteil, den man daraus zieht, den Einsatz zu verdoppeln (etwa wie oben erwähnt von 500 auf 1000 Euro im Monat) ziemlich groß. Werden wir konkret: 

 

Fiel der S&P 500 in der Vergangenheit um mehr als 40 Prozent, stieg der Index im nächsten Jahr um durchschnittlich 25 Prozent. 

 

Noch einmal zum Vergleich: In normalen Monaten macht der S&P 500 (auf 12-Monatssicht, also annualisiert) 13 Prozent Rendite. Auf Sicht von fünf Jahren liegt die durchschnittliche jährliche Rendite nach einem massiven Kursrückgang bei 12,8 Prozent (im Vergleich zu 11,1 Prozent in normalen Zeiten). Dies legt nahe, dass es tatsächlich einen deutlichen Rendite-Vorteil bringt, nach einem Crash den fucking Dip zu kaufen. Jedenfalls dann, wenn man die Zahlen seit 1926 zugrunde legt.

 

Der S&P 500 seit 1988

Maggiullis Gedanken waren die folgenden: Vielleicht sollten wir lieber einen Zeitraum wählen, der eher mit unseren modernen Zeiten vergleichbar ist. Zieht man die Daten seit 1988 heran (die Erklärung, warum genau dieser Zeitraum gewählt wurde, folgt noch), ändert sich das Bild plötzlich.

Wenn man nämlich ausschließlich die Zahlen im S&P 500 seit 1988 zugrunde legt, ergibt sich plötzlich auch dann ein relevanter Rendite-Vorteil, wenn man bereits bei Kursrückschlägen von “nur” 30 Prozent zugreift. Der Vorteil, bei einem über 40-prozentigen Crash zuzugreifen, bleibt selbstredend weiterhin bestehen. Und er ist weiterhin sehr deutlich. Hier die dazugehörende Grafik.

 

S&P 500 seit 1988
S&P 500 seit 1988

 

Wenn man die Balken betrachtet, erkennt man folgendes: Der S&P 500 hatte in der Vergangenheit nach einem Rückschlag von 30 Prozent (oder mehr) eine Rendite von 20 Prozent im nächsten Jahr (im Vergleich zu 14 Prozent zu allen Monaten) bzw. von durchschnittlich 12,4 Prozent (pro Jahr) über die nächsten fünf Jahre (im Vergleich zu 11,7 Prozent pro Jahr in normalen Zeiten) erreicht. 

Dies legt nahe, dass es bereits kurz- bis mittelfristige Rendite-Vorteile geben könnte, nach einem Kursrückgang von “nur” 30 Prozent (oder mehr) zu investieren. 

Maggiulli hörte hier aber nicht auf. Vielmehr quälte ihn auf obige Erkenntnis die folgende Frage: Aber wer weiß das schon ganz genau? Ein eingeschränkter Beobachtungszeitraum eines einzelnen Aktienmarktes wirkt nicht gerade ausreichend, um eine Aussage darüber zu treffen, ob man nach einem Kursrücksetzer nun mehr investieren sollte oder nicht. 

 

Weltaktienmarkt – aber ohne die USA

Aus diesem Grund hat Nick Maggiulli dieselbe Analyse auch einem All Country World Index unterzogen, wo US-Unternehmen explizit ausgeschlossen wurden. Die dazugehörigen Preis-Daten reichen leider nicht so weit zurück, wie beim S&P 500. Konkret nur bis ins Jahr 1988. Genau deshalb hatte sich Maggiulli zuvor auch den S&P seit 1988 angeschaut. 

Wenn man sich die Zahlen ansieht, dann dürfte der positive Effekt, nach Kursrücksetzern zu investieren, für Nicht-US-Aktien sogar noch größer sein. 

 

All Country world ex USA
All Country world ex USA

 

Wie man sehen kann, unterscheidet sich die Situation grundlegend von jener beim S&P 500. Egal wie groß der Kursrückschlag nun war (20, 30 oder 40 Prozent) – über alle drei Zeiträume (ein Jahr, drei Jahre, fünf Jahre) war die Rendite im Anschluss deutlich höher. Wenn man so will, hat “den fucking Dip zu kaufen” bei Nicht-US-Aktien also noch deutlicher besser geklappt, als beim S&P 500. Zumindest seit den späten 1980er Jahren.

Wenn man diese Informationen nun ein bisschen wirken lässt, kommt man zu folgenden Erkenntnissen. 

 

Es ist ein ziemlicher No-Brainer, insbesondere nach großen Kursrückschlägen, ganz einfach mehr zu investieren. 

 

Ist die Sachlage damit klar? Leider nein. Die Daten-Analyse von Maggiulli klingt zwar sehr überzeugend. Und dennoch hat “den fucking dip zu kaufen”, als Strategie einen Konstruktionsfehler. Das sieht auch Maggiulli so und verweist darauf, dass die Vorgehensweise keine Rücksicht auf einen ganz bestimmten Umstand nimmt.

 

Das Problem beim Investieren nach dem Kursrückgang

Wir haben mittlerweile festgestellt, dass die Renditen in der Vergangenheit nach starken Kursrückgängen dazu geneigt haben, in weiterer Folge höher auszufallen. Dies legt wiederum nahe, dass man mehr Geld investieren sollte, wenn die Märkte sich in Turbulenzen befinden. So logisch diese Strategie auch klingt, sie hat einen fatalen Haken. Sie erzeugt nämlich Geld aus dem Nichts. Schauen wir uns an, was damit konkret gemeint ist.

Springen wir noch einmal zum Anfang dieses Artikels. Wir gehen also davon aus, dass du aktuell 500 Euro pro Monat in den Aktienmarkt (zB: S&P 500) investierst. Nehmen wir nun an, dass der Markt um über 40 Prozent fällt und du deinen monatlichen Sparbetrag entsprechend auf 1.000 Euro erhöhst. Jetzt lautet meine Frage: 

 

Woher nimmst du diese 500 Euro zusätzlich im Monat? 

 

Beschwörst du einen Geld-Zauber? Kannst du es zu Hause einfach drucken? Borgst du es bei Freunden und Familie?

Spaß beiseite. Genau hier liegt das Hauptproblem mit der Strategie “mehr zu investieren, wenn der Markt fällt”. Dazu müsste man Geld haben, das auf der Seite liegt und nur darauf wartet, investiert zu werden. 

Diese Herangehensweise führt in den meisten Fällen jedoch zu weniger Geld. 

Wer im Detail wissen will, warum das ist, kann das hier oder hier nachlesen. Zusammenfassung: Es geht darum, dass das Geld viel zu lange nicht renditeträchtig für dich arbeiten kann.

Jetzt könntest du einwenden, dass man ja gar kein Geld auf der Seitenlinie haben muss. Denn man könnte ja einfach seine Ausgaben reduzieren oder die Einnahmen erhöhen, wenn der Markt rückläufig ist. Das stimmt zwar, aber: 

 

Wenn das für dich in der Zukunft so einfach geht, warum tust du es dann nicht genau jetzt? 

 

Warum machst du diese Änderungen also nicht jetzt und startest damit, das zusätzliche Geld heute zu investieren? Statisch betrachtet, wärst du damit in rund 80 Prozent der Fälle besser dran und müsstest gar nicht erst auf einen zukünftigen Dip warten. Klar, das fühlt sich natürlich nicht ganz so gut an, wie eine Once-in-a-lifetime-Chance zu nutzen oder seinen Freunden zu erzählen, dass man den fucking Dip gekauft hat. Aber man kann eben nicht alles haben. 

Wie auch immer du von nun an vorgehen willst: Deinen Sparbetrag nach einem starken Kursrückgang an den Aktienmärkten zu erhöhen, bringt vermutlich in weiterer Folge mehr Rendite als in normalen Zeiten zu investieren. Vergiss jedoch niemals: Wenn du zusätzliche Mittel während eines Rückgangs finden kannst, dann kannst du das auch jetzt.

Eine Sache noch: Leider gibt es das Buch von Nick Maggiulli (das ich noch nicht gelesen habe!) nicht auf deutsch. Wer es sich auf englisch, besorgen will, kann das hier tun.

 

 

Zusatzinfo (zu den Grafiken von Nick Maggiulli):

Wir haben oben von medianen annualisierten Renditen gesprochen. Der Median stellt einen Mittelwert dar. Wichtig: Der Median ist nicht mit dem berühmten Durchschnitt (arithmetisches Mittel) zu verwechseln, sondern funktioniert folgendermaßen: 

In der Statistik ist der Median – auch Zentralwert genannt – ein Mittelwert und Lageparameter. Der Median der Messwerte einer Urliste ist derjenige Messwert, der genau „in der Mitte“ steht, wenn man die Messwerte der Größe nach sortiert. Beispielsweise ist für die ungeordnete Urliste 4, 1, 37, 2, 1 der Messwert 2 der Median, der zentrale Wert in der geordneten Urliste 1, 1, 2, 4, 37.

 

Was bedeutet nun annualisiert? Annualisiert bedeutet in unserem Beispiel, dass man die Rendite eines Monats auf das ganze Jahr (also 12 Monate) hochrechnet. Achtung: Das passiert NICHT, indem man die Performance mit 12 multipliziert. Beispiel: Die Performance in einem durchschnittlichen Monat liegt bei 1 Prozent. Die annualisierte Performance liegt entsprechend nicht bei 12 Prozent (1 Prozent mal 12), sondern bei 1,01 hoch 12 (also 1,01^12). Das Ergebnis lautet 12,68 Prozent. Ein kleiner aber feiner Unterschied.

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. Markus

    Klasse Beitrag, vielen Dank dafür!

    Genau diese Frage ging mir schon lange im Kopf rum. Oft ertappt man sich dabei, wie man jeden Tag auf den ETF schaut, ob wieder Zeit ist zum reinballern. Das stresst ungemein. Dann lieber die Sparrate etwas höher ansetzen und bei z.B. SOnderzahlungen noch Einmalkäufe tätigen.

    Gruß
    Markus

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