Sind Millionäre überhaupt noch reich?

Yacht
Eine Yacht mit nur einer Million? Träum weiter!

 

Die Börsen laufen gut, die Inflation bleibt hoch, Wahlkämpfe toben. Man wird das Gefühl nicht los, dass es rund um die Uhr ums Geld geht. Wie man dieses ausgeben, wo man es einsparen und vor allem wem man es wegnehmen soll, um es möglichst gerecht umzuverteilen. Die naheliegende Lösung stellen Millionäre dar. Die sind ja reich und haben mehr als genug Geld. Aber stimmt das überhaupt noch?

Nick Maggiulli, ein US-Finanz-Blogger, den ich sehr schätze, hat auf X kürzlich folgendes (siehe Screenshot unten) gepostet. Seine Zeilen haben erwartungsgemäß für zahlreiche Diskussionen in den Kommentaren gesorgt. Aber Nick Maggiulli wäre nicht Nick Maggiulli, wenn er seine Argumente nicht bestens mit Zahlen, Daten und Fakten belegen könnte. Nicht umsonst heißt sein hervorragender Blog auch “of Dollars and Data”.

Und genau darum wird es gehen: Dollars – nämlich eine Million davon. Und die dazugehörenden Daten der letzten Jahrzehnte.

 

Posting von Nick Maggiulli auf X
Kontrovers: Nick Maggiulli auf X

 

Hier noch der Link zum Posting: https://x.com/dollarsanddata/status/1884958613778682054

Wer des Englischen nicht perfekt mächtig ist, hier die Übersetzung von DeepL:

 

Der einfachste Weg, um festzustellen, ob jemand finanziell nicht auf dem Laufenden ist, ist, ihn zu fragen, ob er glaubt, dass 1 Million Dollar eine Menge Geld ist.

Tipp: Es ist viel. Es ist nicht mehr das, was es einmal war, aber es ist immer noch viel.

 

Erst Gefühle, dann Fakten

Der Beantwortung der Frage, ob eine Millionen noch viel Geld ist, kann man sich auf zweierlei Art nähern. Zunächst hört man am besten in seinen Bauch hinein. Und das könnte einem etwa Folgendes sagen: Ja, eine Millionen war mal viel Geld, aber das ist es nicht mehr. Vor allem, wenn man berücksichtigt, dass wir seit geraumer Zeit der höchsten Inflation seit Jahrzehnten ausgesetzt sind.

 

Ist eine Million viel Geld?
Ist eine Million viel Geld?

 

Maggiulli stellt daher die Kernfrage: Ist eine 1 Million US-Dollar immer noch viel Geld? Oder braucht man heute ein bisschen mehr, um in den USA ein gutes Auskommen zu finden?

In diesem Kontext ist natürlich zu erwähnen, dass US-Amerikaner für Inflation ein noch deutlich besseres Gefühl haben, als wir Eurozonen-Europäer, die den Euro erst seit gut 20 Jahren als Zahlungsmittel kennen.

So viel zum Gefühl. Doch wie sieht es mit den Fakten aus? Maggiulli sieht sich zwei Bereiche an. 

 

1) Was konnte man im Verlauf der Zeit mit einer Million US-Dollar kaufen? 

2) Wie reich hätte einen diese Millionen in dieser Zeit relativ zu anderen gemacht? 

 

Die Ergebnisse sind sehr interessant.

 

Wenn Kaufkraft erodiert

Rund um die Jahrtausendwende war das Wort Millionär in den USA in aller Munde. Anfang 1996 kam die Erstausgabe des Mega-Bestsellers The Millionaire Next Door heraus, im Jahr 1999 startete die Show Who Wants to be a Millionaire in den USA. In Deutschland startete die Show ebenfalls im Jahr 1999, Österreich war ein Jahr später dran. Das britische Original startete bereits 1998.

Wenn man sich an diese Zeit zurückerinnert, wird einem schnell klar: 1 Million zu haben, war ein echtes Statement. Mit so viel Geld hatte man es ganz klar geschafft.

Doch wie sieht es ein Vierteljahrhundert später aus? Wenn man den US-Inflations-Rechner heranzieht, dann entspricht die Kaufkraft von 1 Million US-Dollar in 1996 fast exakt der Kaufkraft von 2 Millionen US-Dollar heute (siehe Screenshot).

Inflation: US-Dollar
Eine Million US-Dollar verliert die Hälfte an Wert

 

Mit einem Augenzwinkern, könnte man also sagen, dass die Autoren Thomas Stanley und William Danko ihr Buch heute “Der Multi-Millionär von nebenan” nennen müssten.

 

Erzählt die Inflation die ganze Story?

Nicht, wenn es nach Nick Maggiulli geht. Denn viele Produkte sind seit 1996 im Preis um deutlich mehr als das Doppelte gestiegen. Und hier geht es nicht um die Kleinigkeiten, sondern um die großen Brocken – nämlich Immobilienpreise.

Der Immobilienmarkt ist in den USA natürlich viel heterogener als in Europa. Das Argument ist aber in Übersee das gleiche wie hierzulande. Wer an einem beliebten Ort leben will, muss tief in die Tasche greifen. Sehr tief sogar. Beispiel Los Angeles: Die Immobilienpreise stiegen im Median von 231.141 US-Dollar im Jahr 2000 auf 878.396 Euro im Jahr 2022. Das ist fast das Vierfache. In New York stiegen die Preise in derselben Zeit um das 3,16-fache. 

Was kann man daraus schließen? Folgendes: 2 Millionen US-Dollar geben einem heute, rein statistisch betrachtet, dieselbe Kaufkraft wie im Jahr 1996. Wenn man in einer teuren Stadt lebt, benötigt man aber sogar noch mehr Geld. Wenn es LA oder New York sein soll, dann wohl rund 3 Millionen.

 

Der Vergleich zählt

Der dänische Philosoph Søren Kierkegaard sagte: 

 

Das Vergleichen ist das Ende des Glücks und der Anfang der Unzufriedenheit.

 

Kierkegaard hat gewiss Recht, auch wenn der Vergleich uns in unserem Anlassfall wertvolle Informationen liefert. Die zentrale Frage lautet: Wie reich hätte mich eine Million US-Dollar früher gemacht? Und wie reich heute?

Wenn man eine Zeitreise in die späten 1990er Jahre unternimmt, wird man sehen, dass ein Nettovermögen von 1 Million US-Dollar einen Haushalt ungefähr in die Top 5 Prozent aller Haushalte gebracht hat. Also in das wohlhabendste 20stel. Die Zahlen hat sich Maggiulli natürlich nicht ausgedacht, sondern aus dem “1998 Survey of Consumer Finances”. Dem Gold-Standard, wenn es um Wohlstandsdaten geht. Sie werden von der Federal Reserve erhoben.

Wenn man sich nun im Vergleich die Zahlen aus 2022 ansieht, erkennt man eine starke Veränderung. 1 Millionen US-Dollar bringt einen Haushalt in diesem Jahr “nur” noch in die Top 19 Prozent. Und damit ins beste Fünftel. Das zeigt ganz klar. 

 

Man ist zwar noch vorne mit dabei. Aber eben nicht mehr ganz vorne.

 

Ein ähnliches Ergebnis erhält man, wenn man den Spieß ganz einfach umdreht und folgende Frage stellt: Wieviel benötigt man, um weiterhin in den Top 5 Prozent zu stehen? Die Antwort: 3,8 Millionen US-Dollar. Das deckt sich ganz gut mit den oben erwähnten Zahlen, die wir aus den Immobilienpreisen abgeleitet haben.

Spätestens jetzt wird klar, warum selbst Multimillionäre sich heute weniger wohlhabend fühlen, als dies noch vor wenigen Jahrzehnten einfache Millionäre getan haben. Weil es rein mathematisch/statistisch betrachtet, der Wahrheit entspricht. Doch ist das die ganze Wahrheit? Eher nicht.

 

Warum 1 Millionen weiterhin viel Geld ist 

Wir wissen jetzt, dass die Kaufkraft von einer Millionen nicht mehr dieselbe ist wie vor wenigen Jahrzehnten. Und trotzdem gibt es eine Reihe von Gründen, warum es sich weiterhin um sehr viel Geld handelt. 

Wie wir bereits festgestellt haben, braucht man heutzutage vermutlich 2 bis 4 Millionen, um ein Millionär vom alten Schlag zu sein. Doch die rohen Zahlen zeigen nicht die ganze Wahrheit. Zumindest wenn es nach Maggiulli geht. Er behauptet: 

 

Wer sich die Frage stellt, ob er lieber 1998 oder heute Millionär wäre, der wird sich wahrscheinlich für heute entscheiden. 

 

Denn es gehe eben nicht nur um Kaufkraft. Sondern auch um die schiere Auswahl an Produkten, die heute zur Verfügung stünden. Und er hat hier durchaus einen Punkt.

Ja, damals hätte man mit Sicherheit eine bessere Immobilie erhalten. Aber darüber hinaus? Im Grunde genommen wäre laut Maggiulli jedes andere Produkt besser geworden. Die Technologie habe sich rasant weiterentwickelt, die Medizin ebenso. Und auch sämtliche Unterhaltungsoptionen. Die Zustellung von Waren sei heute viel schneller und besser. Und man kann davon ausgehen, dass das Gerät, mit dem du gerade diesen Artikel liest, um Lichtjahre besser ist, als jenes, das Ende der 90er zur Verfügung stand.

 

Das Leben wird immer besser

Diese Argumente kann man nun gelten lassen oder nicht. Es spielt keine große Rolle. Denn wenn man es nüchtern betrachtet, sind Zeitreisen weiterhin unmöglich. Würde jemand aus den 1990ern die Möglichkeit bekommen, in unsere Zeit zu reisen – ich persönlich denke, er würde es tun. Der Lebensstandard ist massiv gestiegen. Das passiert langsam und stetig. Aber mit rund 30 Jahren Distanz ist der Unterschied dann doch erheblich.

Und hier schließt sich der Kreis zu vernünftigem Investieren. Man muss sich die Zeit zum Freund machen. Und trotz aller Geduld versuchen auch den Augenblick zu genießen.

 

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